Wanderlust. Das Thema der Typo Berlin 2017. Was bewegt die Menschen wegzugehen, das Gewohnte für das Unbekannte hinter sich zu lassen? Sind es Träume, Bilder oder konkrete Vorstellungen im Kopf? Ist es die Sehnsucht nach einem besseren Zustand? Menschen begeben sich auf die Reise, in der Hoffnung, dass sich diese Bilder bestätigen. Die Typo Berlin fragte die Besucher nicht: „Wo willst du hin?“, sondern: „Was willst du erleben?“, „Was ist dein Ziel?“.
Neuer Anziehungspunkt: Brand Talks.
Agenturen und Auftraggeber erzählten über die Herangehensweisen an Re-Branding Projekte und den damit verbundenen Herausforderungen. Also machte ich mich auf nach Berlin mit der Frage im Gepäck: "Was werde ich erleben?". Nachfolgend ein paar Gedanken zum Event und meine persönlichen Empfehlungen.
Define first. Design second.
Michael Johnson eröffnete die Brand Talks mit einer ganz klaren Ansage: Define first. Design second. Diese Aussage zog sich nicht nur durch seine Präsentation, sondern wurde zudem noch von allen weiteren Brand Talks bestätigt. Eine intensive, ja sogar investigative Auseinandersetzung mit dem Unternehmen/dem Produkt ist unerlässlich.
Beyond Entertainment. Beyond lifestyle.
Wenn eine italienische Agentur einem italienischen Traditions-Fußballclub ein neues Design verpasst, dann wir das alles andere als gewöhnlich. Nicht umsonst hat das Rebranding in der Designszene für Furore gesorgt. Bevor es auch hier ans Design ging, hat man sich mit der bestehenden Marke beschäftigt und ist selbstbewusst zum Ergebnis gekommen:
We don't need an identity. We are an identity.
Das, was Interbrand hier entwickelt hat, ist einzigartig. Stark. Unverwechselbar. Identitätsstiftend. Verbindend. Ein Markenerlebnis par excellence. Und was das neue Logo betrifft kann ich hier nur Kurt Wiedemann zitieren: "…ein Zeichen ist gut, wenn man es mit dem großen Zeh in den Sand kratzen kann!"
Designers out there: Designt nicht des Designs wegen.
Hat man als Designer eine Pflicht? Einen Auftrag? Soll man sich und seinen Stil verwirklichen? Der Talk von Justus Oehler (Pentagram) ist ein emotionaler Aufruf an jeden Designer, sorgfältig mit den (Weiter-)Entwicklungen von Marken umzugehen. Es geht nicht darum, immer das Rad neu zu erfinden sondern bestehende, starke Elemente zu übernehmen und die Marke sorgfältig weiterzuentwickeln. Pentagram hat das sehr eindrucksvoll am kürzlichen Re-Design von Mastercard bewiesen.
Sometimes looking back is the best way forward.
Audi: The interface becomes the brand.
Wenn Strichpunkt in Kooperation mit KMS Team in Auftrag von Audi kompromisslos 10 Jahre in die Zukunft denkt, dann präsentiert das neue Corporate Design auf der diesjährigen Typo nicht ein Offline-Designer sondern der CTO von Strichpunkt. In 10 Jahren werden wohl keine Automarken mehr gekauft. Autos werden gemietet oder geteilt. Für die Hersteller werden Kunden-Touchpoints und Markenerlebnisse abseits des Kaufens immer wichtiger. Auf diese gravierende Kunden/Marken-Veränderung stellt man sich bei Audi möglichst früh ein und präsentierte Ende 2016 ein komplett digital gedachtes Corporate Design. Nach dem Motto: The interface becomes the brand.
Key Learnings
- Think Simple – weg mit der Komplexität. Einfachheit siegt.
- Think Further – es wurde ein Icon-Set mit über 500 Icons entwickelt. Für Geräte, die es heute noch nicht mal gibt.
- Think Agile – Corporate Design ist kein statischer Prozess, sondern eine Zustandsbeschreibung
- Think Collaborative – Agenturen müssen sich darauf einstellen, mit anderen Agenturen zu kooperieren um noch bessere Ergebnisse zu erreichen.
- Think Open Source – Alles, was im Rahmen des Projekts entwickelt wurde, wurde auf Gitlab veröffentlicht. Alleine dadurch hat das Projekt enorme Aufmerksamkeit erhalten.
Škoda: Von der Vernunftmarke zum Love-Brand
Kunden befragen. Zuhören. Wie ein Arzt mit einem Stethoskop aufs Herz fühlen und den Markenkern freilegen. So erzählt Herr Büscher, Head of Marketing und Product, wie die Marke Škoda komplett auseinandergenommen und neu definiert wurde. Ein mutiger Schritt, der zu einer eindrucksvollen Markenwelt und visuellen Identität geführt hat. Leider musste das Logo bleiben wie es ist. ;-)
Get out of your comfort zone. Culturally.
Manche Themen auf der Typo sind nichts Neues. So wie diese Erkenntnis: Für Unternehmen wird es immer wichtiger ehrlich zu kommunizieren. Das verlangt neben einer guten Kommunikation aber vor allem eines: gute und zeitgemäße Produkte zu produzieren. Zudem wird die Auswahl eines passenden Kreativpartners immer wichtiger. Eine auf das Produkt abgestimmte Kommunikation ist nicht mehr über Pitches zu erreichen. Den Fokus auf den Auswahlprozess zu legen um einen geeigneten Partner zu finden, dem man vertraut und vor allem das Projekt zutraut ist der Schlüssel zum Erfolg. Einen passenden "internen Externen" finden. Einer, der mal auf die Straße geht und sich auf die Kunden einlässt. Rausfindet, was die Kunden beschäftigt. Was sie an den Produkten gut und weniger gut finden. Rausfinden, was die Marke ausmacht. Das ist unsere Aufgabe. Jeden Tag. Eine verdammt schwere Aufgabe. Aber eine spannende.
Abseits der Typo, aber noch immer Berlin.
Abschließend möchte ich noch auf einen Satz von Christian Boros in der aktuellen Ausgabe der Vogue hinweisen, der das Thema Wanderlust ganz gut auf den Punkt bringt: "[...] Es gibt ja grundsätzlich zwei Typen: wiederkehrende Sylturlauber und die suchenden Asienreisenden, die Nomaden. Man muss sich entscheiden, ob man Sicherheit im Leben will oder in schwarze Löcher springt. Es gibt Menschen, die Angst vor Neuem haben, mich zieht es eher an wie Mücken das Licht. Ich liebe den freien Fall." In diesem Sinne möchte ich den Neugierigen unter den Lesern die Sammlung Boros mit auf den Weg geben. Prädikat: sehr empfehlenswert.